Forum "Ästhetik digitaler Literatur",  20./21. Oktober 2000, Kassel
erschienen in: KODIKAS/CODE. Ars Semiotica, Volume 24, No. 3-4 (2001) S. 209ff

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Johannes Auer
Fabrikverkauf: die Familienbande



Die Vorbemerkung [kommerziell]

E-commerce als Anlass oder Material eines Netzkunstprojektes hat seinen Produktzyklus seinen Hype meines Erachtens hinter sich, ist als Thema für ein neues Projekt verbraucht und ausreflektiert. Anders als vor einem Jahr als die New Economy noch im vollen Glaubenssafte stand, anders als vor einem Jahr, als noch keine großen Spielzeugkriege riesige dot-com Konzerne geschleift hatten. Lassen sie sich also von mir mitnehmen ins goldene Zeitalter des Herbsts 1999, der Geburtsstunde von "Fabrikverkauf",  als Startup noch ein Zauberwort und e-commerce der Zauberstab waren.

Fabrikverkauf [www.fabrik-ver-kauf.de]  nimmt die Affirmation von "community" und "e-commerce" zum Anlaß einer vom Nutzer selbst zu gestaltenden Kunstperformance, der [walking exhibition]. Dazu muß der Kunde via Internet im e-shop von "Fabrikverkauf" ein T-Shirt bestellen, das mit von mir entworfenen Kunstmotiven bedruckt ist. Mit Lieferung des T-Shits erhält der Käufer gleichzeitig ein Passwort, mit dem er sich auf der Web-Site von "Fabrikverkauf" einloggen kann, um dort öffentlich zu machen, wann und wo er das T-Shirt, tragen wird, wo die von ihm am Leib getragene Kunst, die Ausstellung, die er damit durchführt, also sein Termin der [walking exhibition] zu besichtigen ist. Die [walking exhibition] umfasst bisher über 120 Ausstellungstermine weltweit.
 

Die Familienbande [historisch]

Wer  ist  für dieses Projekt mitverantwortlich, welche Familienbande sichern es historisch ab?

Taufpate ist natürlich Andy Warhol. Verkauf von seriell gefertigten populären Fertigprodukten wird auf immer mit seinem Namen verbunden sein. Ich zitiere Beat Wyss aus seinem passend genannten Buch 'Die Welt als T-Shirt': "Täglich ereignet sich die Epiphanie von Andys Geist in allen Supermärkten (bitte e-shops gedanklich ergänzen, J.A.) der Welt: Die mystische Einheit von Ware, Werbung und Kunstform in Realpräsenz! Die Prophetie der Avantgarde  hat sich erfüllt: Kunst ist lebend geworden und wohnt jetzt mitten unter uns" (WaT, S.117). Und so ist Fabrikverkauf ein namentlicher Kniefall, na sagen wir Knicks vor Andys Factory.

Knicks, weil wir in Andys Familiengeschichte natürlich sofort auf seinen Großonkel, treffen von Beat Wyss, wie eben zitiert, die "Prophetie der Avantgarde" genannt.

  • Prophet Marcel für Beat
  • Großonkel Duchamp für Andy
  • prophetischer großer Patenonkel Marcel Duchamp für Fabrikverkauf.

Danke Onkel fürs ready made!

Auch wenn's die Aura verloren hat. Recht hat Großpate Benjamin: wenns technisch reproduziert wird, geht beim Kunstwerk die Aura flöten - auch bei einem T-Shirt. Und das ist schlecht fürs Geschäft. Wer will sich schon ein auraloses Mehrfachkunststück ins Haus holen und dafür auch noch bezahlen?

Sorry Walter, da müssen wir ein wenig trixen und an die Aura des T-Shirt Trägers ran. Und da bist du selbst Schuld: hast du, Walter, nicht gesagt, dass - ich zitiere dich wörtlich - "jeder heutige Mensch einen Anspruch vorbringen (kann), gefilmt zu werden" (I, 2, 493), mit anderen Worten das Recht hat, für 15 Minuten ein Star zu sein, wie es Andy griffiger formulierte? Also: wird nicht durch das Tragen des T-Shirts die Aura des reproduzierten Kunstwerks wiederbelebt, indem sie quasi parasitär an der Infusion der temporären Star-Einzigartigkeit des Trägers hängt, an die dieser natürlich fest glaubt? Der T-Shirt Träger, das ist der Trick, macht ja erst die Kunst, wenn er die [art wear], also das T-Shirt, in der [walking exhibition] zur Schau stellt.

Und so ein getragenes T-Shirt, das liegt ja direkt auf der Haut, streichelt und massiert sie sanft mit jeder Bewegung, gerade so wie das Stiefonkel Marshall McLuhan gesagt hat: "the medium is the massage". Wir wissen von dieser genealogischen Beziehung Dank eines Hinweises von Reinhard Döhl.

Zum familiären Abschluß noch im Vorbeiflug ein Blitzbesuch bei Lieblingsonkel Beuys. Der macht es uns leicht, dessen anglisierte Namensanmutung (buys) bindet ihn eh dicht ans Projekt. Außerdem hat er uns die soziale Plastik geschenkt. Und da wollen wir uns ganz artig mit der [walking exhibition] bedanken.

Obwohl die Geschichte nun schon fast geklärt ist und beinahe alles erklärt hat, hat sie uns auch ein gesichertes Fundament gegossen und auf diesem wollen wir nun den Direktkontakt mit "Fabrikverkauf" wagen.

"Fabrikverkauf" ist ein hybrides Projekt: findet als e-shop und Community-Plattform im Internet statt und hat eine starke real life Komponente in der [walking exhibition]. Die [walking exhibition] ist sozusagen der traditionelle Ausstellungsarm des Projektes. Und Ausstellungen werden herkömmlich mit Einladungskarten beworben und mit Reden eröffnet.

Folglich wurde auch für "Fabrikverkauf" ein Einladungskärtchen entworfen, gedruckt und verschickt. Passend zu einem e-commerce Vorhaben in Form eines Dollars und natürlich Projekt entsprechend  überarbeitet:


 

Die Rede zur Ausstellungseröffnung besorgte Reinhard Döhl ohne zu reden, denn sein Text wurde, wie auf der Einladungskarte angekündigt, Tag gerecht im Internet veröffentlicht.

Die Annäherungen I [textlich]
 
Frieder Rusmann: kurz das wichtigste
Waschanleitung
Reinhard Döhl: Text zur Ausstellungseröffnung
Ulrike Knöfel: Karaoke fürs Auge [DER SPIEGEL, I/2000, S. 176]
Roberto Simanowski: Kunsttheoretische Spielerei mit Bestellfunktion [FAZ online, 27.05.2001]
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Die Annäherungen II [linkisch]

www.fabrik-ver-kauf.de